Hengaw-Bericht: Weitverbreitete willkürliche Verhaftungen im Zuge des anhaltenden Iran–Israel-Krieges – Mindestens 150 Festnahmen

Hengaw-Bericht: Weitverbreitete willkürliche Verhaftungen im Zuge des anhaltenden Iran–Israel-Krieges – Mindestens 150 Festnahmen
Im Zuge des andauernden Krieges zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel haben iranische Sicherheitsbehörden eine umfassende Welle willkürlicher Verhaftungen in verschiedenen Städten eingeleitet. Den Festgenommenen werden unter anderem „Spionage für den Mossad“, „mediale Unterstützung für Israel“ und „Störung der öffentlichen Meinung“ vorgeworfen. Bei der Mehrheit der Festgenommenen handelt es sich um Zivilist:innen und Nutzer:innen sozialer Medien.
Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation Hengaw wurden Dutzende Personen, darunter Aktivist:innen der Zivilgesellschaft, Nutzer:innen sozialer Medien, Universitätsprofessor:innen und sogar Arbeiter:innen, im Rahmen dieser Repressionswelle festgenommen. Diese Verhaftungen sind Teil der repressiven und vergeltenden Maßnahmen der Islamischen Republik Iran und erfolgen unter Missachtung grundlegender menschenrechtlicher Standards.
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Verhaftungen ohne faire Gerichtsverfahren und erzwungene Geständnisse
Die Untersuchungen von Hengaw zeigen, dass diese Festnahmen ohne ordnungsgemäße rechtliche Verfahren durchgeführt wurden. Viele der Inhaftierten wurden unter Druck gesetzt und zu Geständnissen gezwungen, die anschließend von staatlichen Medien verwendet wurden, um weitere Verhaftungen zu rechtfertigen.
Offizielle iranische Medien haben dieses Muster bestätigt und erklärt:
„Aufgrund der Geständnisse festgenommener Mossad-Agenten operiert der Mossad in einem Kettennetzwerk, in dem die Mitglieder einander oft nicht kennen und von ausländischen Auftraggebern gesteuert werden.“
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Zahl der Festgenommenen nach Städten
Basierend auf offiziellen Berichten der staatsnahen iranischen Medien wurden folgende Festnahmen bestätigt:
• Baneh, Provinz Kurdistan (Sanandadsch) – 1 Person wegen „Spionage für den Mossad“
• Ilam – 1 Person in einer Militäranlage wegen „Spionage für den Mossad“
• Lorestan – 18 Personen wegen „Störung der öffentlichen Sicherheit“
• Savojbolagh, Provinz Alborz – 2 Personen wegen „Mossad-Mitgliedschaft“ und „Sicherheitskooperation mit dem Feind“
• Faschafuyeh und Süd-Teheran – 3 Personen wegen „Mossad-Mitgliedschaft“, „Besitz von Sprengstoff“, „Drohnenbesitz“ und „Spionage“
• Ardabil – 5 Personen wegen Aktivität in sozialen Medien unter Anklage der „Störung der öffentlichen Meinung“
• Teheran – 28 Personen wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit zu einem mit Israel verbundenen operativen Netzwerk
• Isfahan – 16 Personen verhaftet; gegen 60 weitere wurden Verfahren wegen „medialer Unterstützung für Israel“, „Staatspropaganda“, „Beleidigung von Märtyrern“ und „Störung der öffentlichen Meinung“ eröffnet
• Golestan – 3 Personen wegen „Störung der öffentlichen Meinung“
• Mazandaran – 15 Personen wegen „Verbreitung von Unwahrheiten“ und „Störung der öffentlichen Meinung“
• Semnan – 21 Personen wegen Aktivität in sozialen Medien unter Anklage der „Störung der öffentlichen Meinung“
• Hormozgan – 14 Personen wegen „Verbreitung von Gerüchten im Zusammenhang mit Israel“
• Kerman – 2 Personen wegen „medialer Unterstützung für Israel“
• Lali, Provinz Khuzestan – 4 Personen wegen „Propagandatätigkeit zugunsten Israels in sozialen Medien“
• Shahrekord, Provinz Tschaharmahal und Bachtiari – 1 Person wegen „psychologischer Unruhe in der Gesellschaft“
Außerdem wurden am 17. Juni laut verifizierten Informationen von Hengaw mindestens 18 Mädchen unter 18 Jahren von der Geheimdienstbehörde in Mahabad verhaftet, nachdem sie Inhalte zum Iran–Israel-Krieg in sozialen Medien veröffentlicht hatten. Nach stundenlangen Verhören und der Einleitung gerichtlicher Verfahren wurden sie gegen Kaution freigelassen.
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Digitale Repression: Nutzer:innen sozialer Medien als Hauptziel
Nach Feldrecherchen von Hengaw und gesammelten Beweisen richtete sich ein Großteil der Verhaftungen gezielt gegen Menschen, die sich über soziale Medien zum Iran–Israel-Krieg äußerten oder die Regierung kritisierten. Einige dieser Festnahmen scheinen gezielt Angst zu schüren und freie Meinungsäußerung im Internet zu unterdrücken. Diese Maßnahmen sind Teil umfassender Versuche der Sicherheitsbehörden, die Internetkontrolle zu verschärfen und abweichende Meinungen zu unterdrücken.
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Justiz ordnet beschleunigte Strafverfolgung an – Risiko extralegaler Hinrichtungen
Der iranische Justizchef Gholamhossein Mohseni-Ejei hat die „sofortige Verfolgung und Bestrafung“ aller Personen mit Bezug zu israelbezogenen Vorwürfen angeordnet. Viele der Inhaftierten befinden sich in Sicherheitsgefängnissen ohne Zugang zu Anwält:innen und unterliegen harten Verhören.
Diese Maßnahmen verletzen grundlegende Rechte auf ein faires Verfahren und die Unschuldsvermutung und sind Teil einer repressiven Reaktion auf israelische Angriffe. Die beschleunigten Urteile ohne rechtliches Gehör werfen ernsthafte Bedenken hinsichtlich extralegaler Hinrichtungen auf.
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Offizielle Drohungen und harte Haftbedingungen
Das Ministerium für Nachrichtendienste und die Nachrichtendienstorganisation der Revolutionsgarden (IRGC) haben beide erklärt, jede tatsächliche oder vermeintliche Zusammenarbeit mit Israel werde mit „maximaler Strafe“ geahndet. Gleichzeitig bleiben viele Inhaftierte isoliert, ohne rechtliche Vertretung und unter psychischem Druck.
Am 12. Juni veröffentlichte der iranische Generalstaatsanwalt eine Erklärung, wonach Medien und Nutzer:innen sozialer Medien, die Inhalte verbreiten, die die „öffentliche psychische Sicherheit beeinträchtigen“, rechtlich belangt werden. Die Nachrichtenagentur Mizan berichtete parallel, dass gegen „falsche Inhalte“ rechtlich vorgegangen werde – Teil der anhaltenden Strategie zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.
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Verhaftungen von zivilgesellschaftlichen und akademischen Aktivist:innen
Hengaw hatte bereits zuvor über Verhaftungen in dieser Repressionswelle berichtet. Am 13. Juni wurde die studentische Aktivistin und ehemalige politische Gefangene Motahareh Gouneh’i festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht, nachdem sie sich öffentlich zum israelischen Angriff geäußert hatte. Zur gleichen Zeit wurde die pensionierte Lehrerin Masoumeh Shahnavaz in Sabzevar nach einer Hausdurchsuchung durch Sicherheitskräfte festgenommen.
Auch Mostafa Mehraeen, Soziologe und Universitätsprofessor, wurde festgenommen und ins Evin-Gefängnis verlegt, nachdem er einen offenen Brief an Ali Khamenei veröffentlicht hatte. Diese Festnahmen zeigen die fortgesetzte Unterdrückung zivilgesellschaftlicher und akademischer Stimmen.
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Hinrichtung von Esmail Fekri
Am vierten Tag des Iran–Israel-Krieges wurde Esmail Fekri, ein in Teheran ansässiger Bürger, der zuvor wegen „Spionage für Israel“ zum Tode verurteilt worden war, hingerichtet. Die Hinrichtung erfolgte trotz schwerwiegender Mängel im Gerichtsverfahren und unter Verletzung rechtsstaatlicher Standards.
Hengaw hatte bereits vor der Gefahr von Hinrichtungen politischer Gefangener gewarnt und diese als Teil der rachsüchtigen und repressiven Strategien der Islamischen Republik Iran gegenüber äußeren Krisen und innerem Widerstand eingeordnet.
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Hengaw verurteilt Repression – Forderung nach internationalem Handeln
Die Menschenrechtsorganisation Hengaw verurteilt diese Welle willkürlicher Verhaftungen aufs Schärfste. Sie betont, dass die Islamische Republik Iran unter dem Vorwand eines äußeren Konflikts ihre innenpolitische Repression verstärkt und sicherheitsbezogene Vorwürfe nutzt, um Meinungsfreiheit und digitale Aktivitäten einzuschränken. Hengaw fordert dringende Maßnahmen internationaler Menschenrechtsorganisationen und eine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen der Inhaftierten.